Vom Verstand

Vom Verstand  

Freude: Ich habe schnellen Verstand.  Vernunft: Ich hoffe bezüglich der Tugend. Ansonsten ist er schnell im Fallen.  Freude: Ich habe guten Verstand.  Vernunft: Neigt er sich den guten und heilsamen Künsten zu, dann ist er ein kostbarer Besitz des Geistes. Ansonsten ist er eine beschwerliche, gefährliche und mühevolle Last.  Freude: Ich habe sehr großen und scharfen Verstand.  Vernunft: Nicht die Schärfe des Verstandes, sondern die Einsicht und Beständigkeit verdienen wahres und ewiges Lob. Manche Schärfe wurde schon mit einem Schlag an einem kleinen Nägelein zerbrochen. Und auch die härteste Schärfe wird im Gebrauch stumpf. Also wetzt das Weiche alles Harte ab.  Freude: Ich habe einen spitzfindigen Verstand.  Vernunft: Nichts ist der Weisheit feindlicher, als zu große Spitzfindigkeit. Und nichts ist einem Liebhaber der Weisheit beschwerlicher, als ein starrsinniger und zänkischer Sophist (bzw. Philosoph). Deshalb haben bereits die Alten gedichtet: Das Pallas Athene (die griechische Göttin der Weisheit) den Spinnen feindlich ist, weil sie so große und feine Spinnennetze knüpfen, die zwar verfänglich und gefährlich aber darüber hinaus nutzlos sind. Deshalb soll die Schärfe des Verstandes wie die Spitze eines Schwertes sein, nicht nur zum Durchdringen geeignet, sondern auch zum Zügeln.  Freude: Ich habe einen nützlichen Verstand.  Vernunft: Der sei Marco Cathoni Censorio (Marcus Porcius Cato?) gewidmet, der in allen kriegerischen Waffen, höfischen und bäuerlichen Künsten und auch den Schriften zugleich geschickt war, was zum Teil die Griechen ihrem Epaminunde (Epaminondas?) und die Perser dem Ciro (Kyros?) zuschreiben. Dein schneller Verstand schaue genau darauf, wohin er sich wendet, damit er nicht hinterlistig werde, unbeweglich, leichtfertig und vergänglich. Es ist ein großer Unterschied, ob der Verstand von einem zum anderen springt, weil er nicht verweilen kann, oder nach Belieben leicht beweglich ist.  Freude: Mein Verstand ist vortrefflich.  Vernunft: Es ist die Frage, was du unter „vortrefflich“ verstehst. Die gewöhnliche Bedeutung ist: Wohin du deinen Verstand richtest, dort bewirkt er etwas. Demnach will ich lieber einen heilsamen als einen vortrefflichen Verstand haben. Denn ein heilsamer Verstand mag sich nicht zum Unheilsamen neigen, während ein vortrefflicher auch verkehrt sein kann. So sagt Crispus, daß Lucius Catilina zwar einen großen und schnellen Geist, aber einen bösartigen und kleinlichen Verstand hatte.  Freude: Aber mein Verstand ist groß.  Vernunft: Ich wünsche dir, daß er heilsam und mäßig sei! Unmäßige Größe allein ist verdächtig. Unmäßiger Verstand ist oft großer Bosheit Anfang. Denn nicht selten entsteht aus großem Verstand auch großer Irrtum.